Folgen 4-6, ZDF, 21.10.2024, 22:15 Uhr
Ruth Bradley, Nanna Blondell, Christiane Paul, Barbara Eder. Fehler im System
Tilmann P. Gangloff
„Concordia – Tödliche Utopie“ (ZDF / Intaglio) ist eine sehenswerte international koproduzierte sechsteilige Serie mit Christiane Paul als Gründerin einer schwedischen Stadt, die mit Einverständnis der Einwohnerschaft lückenlos durch eine KI überwacht wird. Seit 20 Jahren hat es hier kein Verbrechen gegeben; bis ein Mord geschieht, der offenbar ein düsteres Gründungsgeheimnis vertuschen soll. Regie führte die mit Großprojekten dieser Art erfahrene Österreicherin Barbara Eder („Der Schwarm“). Die Bilder sind hochwertig, das Ensemble ist ansprechend besetzt. Wohltuend ist nicht zuletzt die gute Synchronisation.
Foto: ZDF / Intaglio Films
Juliane Ericksen (Christiane Paul) verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Das KI-gesteuerte Überwachungsmodell von Concordia soll in einer deutschen Stadt eingeführt werden.
Viele Menschen geben in digitalen Netzwerken wie Instagram oder Facebook zwar ungeschützt alle möglichen privaten und sogar intimen Details preis, aber auf Überwachung reagieren sie allergisch: weil sie nicht wissen, wer da alles zuschaut und was mit dem Datenmaterial geschieht. In Concordia (Eintracht) ist das anders: Die schwedische Stadt wird lückenlos durch Kameras erfasst, es gibt keinerlei tote Winkel; nicht mal in Bade- und Schlafzimmern. Die Bevölkerung ist jedoch einverstanden, und nicht nur das: Die meisten sind sogar gerade deshalb hierher gezogen. Was wie eine perfekte Umsetzung jener Welt wirkt, wie sie George Orwell in seinem Roman „1984“ beschrieben hat, ist im Gegenteil die Garantie für ein sorgloses Leben: Die Observierung wird von einer Künstlichen Intelligenz gesteuert. Menschen bekommen das Material nur dann zu sehen, wenn die KI einen Verdacht meldet, aber seit der Gründung Concordias vor zwanzig Jahren hat es kein einziges Verbrechen gegeben. Diese makellose Statistik ist streng genommen immer noch gültig, doch mit der Beschaulichkeit ist es schlagartig vorbei, als außerhalb der Stadtgrenze eine Leiche entdeckt wird. Oliver Miller gehörte zu jener Gruppe, die den gemeldeten Verdachtsmomenten nachgehen sollte. Offenkundig hat er sein Wissen missbraucht, um sich an Frauen ranzumachen, aber deshalb ist er nicht erschossen worden: Der junge Analyst ist zufällig über ein Gründungsgeheimnis gestolpert, das keinesfalls publik werden darf.
Foto: ZDF / Intaglio Films
Seit der Gründung Concordias vor 20 Jahren hat es in der utopischen Gemeinschaft kein einziges Verbrechen gegeben – bis jetzt! Die Londoner Krisenmanagerin Thea Ryan (Ruth Bradley) & Isabelle Larsson (Nanna Blondell) ermitteln den ersten Mord.
Wie schon zuletzt die Verfilmung von Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“ ist auch „Concordia – Tödliche Utopie“ (Buch: Nicholas Racz, Mike Walden, Isla van Tricht) eine vom ZDF initiierte europäische Koproduktion mit entsprechender Besetzung. In vielen Serien dieser Art schmälert das mitunter den Hörgenuss, weil die deutsche Übersetzung oft nach typischer TV-Synchronisation klingt. Das ist diesmal gänzlich anders, auch die deutschen Mitwirkenden machen ihre Sache in dieser Hinsicht sehr gut. Christiane Paul spielt die zentrale Figur der Geschichte: Juliane Ericksen hat dank der Unterstützung durch eine vermögende Investorin (Ahd Kamel) mit Concordia die Vision ihres verstorbenen Mannes umgesetzt. Sehr präsent ist auch Steven Sowah. Der gebürtige Hamburger gehörte zum Kern-Ensemble der ZDF-Serie „Die Spezialisten“ (2016 bis 2019), hier verkörpert er Noah, den Sohn der Stadtgründerin, der das Vermächtnis seines Stiefvaters als Mitglied des Concordia-Vorstands hütet. Karoline Eichhorn spielt eine Ministerpräsidentin, die mit Julianes Hilfe in Sachsen ein Projekt nach dem Concordia-Vorbild ins Leben rufen will. Diese Pläne will eine linksradikale Gruppierung rund um einen sinistren Anführer (Jonas Nay) um jeden Preis verhindern. Weil es in Concordia keine Polizei gibt, beauftragt die Investorin eine Londoner Krisenmanagerin (Ruth Bradley) mit den Mordermittlungen; unterstützt wird sie von Noahs Freundin Isabelle (gespielt von der Schwedin Nanna Blondell).
Foto: ZDF / Intaglio Films
Telegener Look. Larsson (Nanna Blondell) weiß nicht, wem sie noch trauen kann.
Neben der ungewöhnlichen Geschichte mit ihren cleveren Cliffhangern sowie dem ausnahmslos vorzüglichen Ensemble beeindruckt die sechsteilige Serie vor allem durch die Bildgestaltung (Kamera: Dominik Berg). Regie führte die Österreicherin Barbara Eder, die bereits maßgeblich an „Der Schwarm“ (2023) sowie an der Netflix-Serie „Barbaren“ (2020) beteiligt war; zuvor hatte sie für den ORF zwei herausragend gute Wiener „Tatort“-Krimis gedreht. Dank der immer wieder eingespielten Überwachungsaufnahmen gibt es eine Menge optisches Material; trotz entsprechend vieler visueller Eindrücke kommt es jedoch nicht zur Reizüberflutung. Eine besondere Rolle nimmt ein Online-Ballerspiel ein, dem Oliver seine Freizeit gewidmet hat. Der Schlüssel zur Lösung, den Isabelle hier entdeckt, konfrontiert sie mit einem Kindheitstrauma, das ihr regelmäßig Albträume beschert.
Interessant ist auch das ästhetische Konzept. Filme über soziale Utopien haben meist eine betont kühle Anmutung, um auf diese Weise zu vermitteln, dass es sich in Wirklichkeit um eine Dystopie handelt. Die Bilder aus Concordia sind jedoch sonnendurchflutet und verbreiten Wohlbehagen; leicht blaustichig und somit deutlich kühler wird es nur, wenn es um Technik geht. Die Welt der Gruppe rund um den Überwachungsfeind Leon ist dagegen ebenso düster wie er selbst. Besondere akustische Reizpunkte setzt die elektronische Musik des einstigen Nina-Hagen-Keyboarders Reinhold Heil, der unter anderem regelmäßig mit Tom Tykwer zusammenarbeitet. Einziges, aber unüberhörbares Manko der Serie sind die jeder Folge vorangestellten Prologe, in denen die Menschen aus Concordia das Leben in der Stadt loben: Sie klingen wie miserabel synchronisierte Fernsehwerbung. Eher unnötig sind auch die allzu ausführlichen Ausflüge ins Privatleben der Engländerin, selbst wenn sie in direktem Zusammenhang zur Handlung stehen. (Text-Stand: 29.8.2024)
Foto: ZDF / Intaglio Films / F. Lovino
Schöne neue Lebenswelt oder doch eine Dystopie? Die sächsische Ministerpräsidentin Hanna Bremer (Karoline Eichhorn) und ihr Büroleiter Ulf Schrader (Christopher Nell) arbeiten Tag und Nacht, um das Concordia-Modell in Kopwitz zu übernehmen.
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker für Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.
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„Concordia – Tödliche Utopie“
ZDF / Serie / Drama, Thriller, Krimi
EA: 14.9.2024, 10.00 Uhr (ZDF-Mediathek). TV: 20.+21.10.2024, 22.15 Uhr (ZDF)
Mit Ruth Bradley, Nanna Blondell, Christiane Paul, Steven Sowah, Kento Nakajima, Alba Gaïa Bellugi, Maeve Metelka, Jonas Nay, Ahd Kamel, Dietrich Holinderbäumer, Alice Dwyer
Drehbuch: Nicholas Racz, Mike Walden, Isla van Tricht
Regie: Barbara Eder
Kamera: Dominik Berg
Szenenbild: Gaspare De Pascali
Kostüm: Marco Idini
Schnitt: Philipp Ostermann, Matti Falkenberg, Ilja Siebert
Musik: Reinhold Heil
Redaktion: Solveig Cornelisen, Laura Mae Harding, Caroline von Senden
Produktionsfirma: Intaglio Films in Koproduktion mit MBC, France Télévisions und Hulu Japan Frank Doelger, Jan Wünschmann, Robert Franke
Quote: (1-3): 1,00 Mio. Zuschauer (7,4% MA);
Bewertung: 4,5 von 6
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